HOSPIZVEREIN SCHAUMBURG-LIPPE E.V.
Vergissmeinnicht Gottesdienst
Zweimal im Jahr finden Gottesdienste in der Kirchengemeinde Bergkirchen mit Salböl und Abendmahl an den Sitzplätzen für Menschen statt, die aufgrund ihrer geistigen oder körperlichen Behinderung nicht mehr am Gottesdienst teilnehmen.
Wir kooperieren dabei mit den umliegenden Pflegeheimen. Gern können Sie dies Modell in Ihrer Gemeinde übernehmen, wir sind hilfreich mit Informationen.
Eingeladen sind alle Menschen, die sich gerne in diesem besonderen Gottesdienst berühren lassen wollen von der unvorstellbaren Atmosphäre dankbarer Menschen.
Weitere Information: Telefonnummer
Vergissmeinnicht Gottesdienst
Die Kirchentüren stehen offen, die ersten Wagen fahren vor, Hospizhelfer und Mitarbeiter der Einrichtungen helfen je nach Situation den Weg in die Kirche zu meistern. Die Besucher besetzten jede zweite Reihe, die in Rollstühlen die Vierung. Langsam füllt sich die Kirche. Bekannte Lieder spielen melodisch von der Orgel - Großer Gott wir Loben Dich, Geh aus mein Herz - Musik, die jeder erinnert, die an früher anknüpft. Staunende Blicke in die Runde. „Wie lange war ich nicht mehr in einer richtigen Kirche?“ Oder „Hier habe ich geheiratet!“ Dann das große Geläut. Spätestens zu diesem Zeitpunkt sammeln sich alle, sind neugierig.
Mit Bildern, mit kurzen Lesungen, Gebeten, bekannten Liedern führen die Helfer und der Pastor durch einen klassischen Gottesdienst. Dann kommt ein erster Höhepunkt, mit einem Duftöl geht der Pastor durch die Reihen und macht jedem ein Kreuz aus Öl in die Hand. Persönliche Zuwendung. Berührung. Wertschätzung, Zusprache von Liebe und Geborgenheit. Musik untermalt und trägt und begleitet, manch einer kennt die Texte und singt mit.
Keiner wird ungeduldig, auch wenn es manchmal länger dauert. Dann kommt der Übergang zur Abendmahlsliturgie. Auch Zwischenrufe sind möglich. Und die persönliche Abendmahlsausgabe in jeder Bank krönt den Moment mit Heiligkeit, die jeder spürt. Ganz ergriffen nehmen die Teilnehmer das Abendmahl und man merkt, wie wichtig ihnen dieser Moment ist - ganz gleich, wie sie das erfassen oder ausdrücken können, man kann die Ergriffenheit einfach bei jedem fühlen. Und ganz gleich, wie wichtig das für die Menschen ist, für die wir meinen, diesen Gottesdienst zu gestalten - mindestens genauso bereichernd ist es für uns alle, die wir dabei sein dürfen.
Gottesdienst ist Einlassen auf Erinnerung
Als wir mit der Planung des Vergissmeinnicht Gottesdienstes begannen, haben wir nicht gedacht, wie lebendig, bunt und spontan dieses Handlungsfeld sich entwickeln könnte. Dennoch war es schwer, gemeinsam einen Weg zu finden, damit wir auf der einen Seite eine Gottesdienstform anbieten, die unseren Teilnehmern nicht das Gefühl der Schutzbedürftigkeit außerhalb ihres gewohnten Raumes als unangenehm vermittelt und außerdem sie auffangen kann, wenn sie Erinnerungen aus ihrem Leben überfallen. Die Berührungsängste bei dem Thema „Biographie“ zu überwinden, und zwar bei allen, den Besuchern und den Mitarbeitern aus Ehrenamtlichen, Alltagsbegleiter, Ergotherapeuten, Sozialarbeitern, Küster, Organist, Angehörige und Hospizlern, Besuchsdienst und Seelsorgern war ein gemeinsamer spannender Weg.
Dazu haben wir alle zusammengetrommelt und die Vision solch eines Gottesdienstes, mit allen Sinnen, Gedanken und Haltungen allen Beteiligten vorgestellt. Niemand wusste vorher, was als Ergebnis dabei herauskommen sollte. Aber wir stellten uns den Reaktionen und boten immer etwas mehr an Elementen an und reflektierten erneut und sammelten Rückmeldungen. Dann erlebten wir als Team der Organisatoren und Begleiter das „Schönste überhaupt“, mit allen Fragen und Antworten in diesem Prozess nicht allein gelassen zu sein, sondern erlebten uns in dieser Aufgabe als Gemeinschaft. Diese erhebenden Momente zu beobachten, motivierte uns immer wieder neu und trieb uns voran. Das machte uns alle glücklich!
Es ist Biographiearbeit im Sinne einer Hilfestellung für den Besucher, bei dem Erinnerungen an früher möglich werden. Das Erleben des Gottesdienstes in der Kirche, nicht im Heim, und dennoch im geschützten Raum insofern, als alle anderen auch laut sind oder nicht still sitzen, ermöglicht Entspannung, Freude, Erinnerung, Geborgenheit. Im gemeinsamen anschließenden Essen gibt es Raum zum Aussprechen, um damit Leben zu teilen. Es wächst Vertrauen untereinander und auch durch Wiederholungen von Vertrautem entsteht „Verlässlichkeit“; auch sind bei jedem Zusammensein neue Besucher da und werden einfach aufgenommen.
Form
Immer wieder fragten wir uns untereinander in welcher Form sind die gemeinsamen Erfahrungen wiederholbar? Das Experiment war ohne Gleichen – da gab es keine fertigen Antworten. Jeder erinnert sich anders, neu. Jeder hat andere Bedürfnisse, eine andere Tagesform, die in den Momenten der Erinnerungen eine Rolle spielen. In gleichen Momenten ist Erinnerung wie ein „Blitz“ bei Gewitter wie eine abgeschlossene Momentaufnahme, steht als Repräsentanz für „meinen Geistesblitz – in und für meine Zeit“, die keine Planung zulässt.
Wir laden mit dem Vergissmeinnicht Gottesdienst nicht nur zum Gottesdienst, sondern auch zu gemeinsam Erleben ganzheitlicher Anekdoten ein, die daraus resultierenden Eindrücke können als Erinnerungsstücke durchlebt und damit erlebt werden. Dabei haben wir niemals ängstliche oder kritische Momente zusammen erlebt.
Erinnerungen
Erinnerungen werden beim Gebrauch anders. So geschieht es eben mit Dingen, die zu uns gehören. Erinnerungen passen in die Zeit, den Raum und zur Person – sind ein Teil von uns.
So gesehen und in die Hand genommen – leben Erinnerungen fort und verändern Menschen, setzen Kräfte frei, lösen Assoziationsketten aus und können befreien und stärken zugleich.
In diesem Miteinander von Menschen werden Bilder frei. Werden sie formuliert, können sie auch bei anderen Erinnerungen anregen. Zu jeder Zeit, an jedem Ort ist es möglich sich zu erinnern, wenn es Zeit, Raum und auslösende Momente ermöglichen.
Raum
Als allererstes haben wir die Erfahrung gewonnen, dass die Bewohner, die den Gottesdienst und den Kirchenraum besuchten, staunend auf die Kirchenfenster, auf den Altar mit Kerzen und auf die Orgel blicken. Die Wirkung einzelner Elemente des Raumes ist enorm entspannend auf die Besucher, anders eben als bei einem Gottesdienst in der Einrichtung. Auch die Anwesenheit vieler anderer Menschen wird nicht als störend empfunden. Der Transport in den Raum muss organisiert und geschafft sein, dann beginnt im Raum schon die Wirkung der Biographiearbeit.
Die Ausstattung der Umgebung mit Pastoren-Gewand, Kerzen, Kreuz, Abendmahlsgeschirr, Text und Musik dienen dazu, den Menschen in seiner Lebenswirklichkeit mitzunehmen und ihm auf das Heils-Handeln Gottes mit dem Heiligen hinzuführen. Es scheint so zu sein, dass der Bewohner einerseits, wenn er den Gottesdienstraum betritt, der Ausdrucksmöglichkeit des Raumes begegnet und andererseits auf den Abglanz der Wirklichkeit Gottes trifft. So kann das Fest der Erinnerung in uns Menschen beginnen. Das haben wir immer wieder erfahren.
Einen ganz besonderen Stellenwert hat die Stille, Momente des Einkehrens, das Wort und die Musik des Raumes. Stille existiert. Inmitten des Lärms, unserer Unruhe und Hektik unseres Daseins erleben wir die sonst in ihrem Umfeld unruhigen Bewohner hier in der Stille, im Raum und in der Gemeinschaft in einem Zustand von Gelassenheit, angstfrei und auch schon mal heiter. Die Musik im Zusammenhang mit Wort und Raum ist hier per se Bild und Gleichnis der „himmlischen Wirklichkeit“ und damit auch Bild des ihm verheißenen und erlösten Menschen. Die Gesamtwahrnehmung des Raums, der Haltung mit der wir als Begleiter auf sie eingehen, die Musik mit eigenem Gesang und Orgel, die Stille, das Wort, das Gebet sind Schlüssel zur Wirkung des „Vergiß mein nicht Gottesdienstes“.
Fazit
Der Gottesdienst in dieser Form ist wie ein Fest der Erinnerung für Menschen, denen dieses wertvolle Gut weitestgehend krankheitsbedingt abhandengekommen ist. Es ist ein anderes Gottesdienstprofil, das Kraft schöpfen lässt. Es ist nicht der einzige Weg, aber es ist ein Weg gemeinsam und heilsam vor Gott zusammen zu sein. Wer sich so auf den Weg macht ist in Bewegung, ist gespannt, was Gott mit uns vorhat und sammelt neue Eindrücke, Impulse und Anregungen. Um diese Bewegung – Motivation – geht es uns: mutiger, bewegender sich begleiten zu lassen, sich anstecken zu lassen und sich immer wieder gemeinsam zu erinnern. Das haben wir erfahren.
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Koordinatorin
Birgit Homes
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